Operation Edward III

Nachdem wir nun um 10 Uhr beim Verkäufer angekommen waren, machten wir uns direkt an die Besichtigung des bereitstehenden Reliant Rialtos.
Äußerlich sieht der Wagen für 25 Jahre sehr gut aus. Mir sind lediglich ein paar kleine Kratzer und zwei kleine „Star-Cracks“ im Lack aufgefallen (sternförmige Risse, welche durch Alterung und Temperaturunterschiede entstehen), was für einen Reliant erstaunlich ist. Der Lack selbst ist nicht verblasst, wie es sonst normal bei Reliants ist, da die Feuchtigkeit von der unlackierten Rückseite der Glasfaserkarosserie eindringt:
schräg vorne rechts

schräg vorne links

schräg hinten rechts

schräg hinten links
Die Zierstreifen und Aufkleber deuten darauf hin, dass der Wagen noch seinen Erstlack trägt. Die Reliants waren (und sind) zu billig, als das jemand bei einer Neulackierung den Aufwand treiben würde, die Streifen und Abzeichen neu zu besorgen. Zumal ich keinen Händler kenne, der sie hat. Auch im Innenraum gibt es nichts zu meckern. Die Polster sind alle heile und nicht durchgesessen. Laut Verkäufer trugen sie zeitlebens Schonbezüge:
Reliant Rialto Abenteuer 037

Reliant Rialto Abenteuer 038
Der Kofferraum zeigt einige Spuren von Getränkekisten, aber nix, was auch nur annähernd dramatisch wäre:
Kofferraum
Das original mit Leder bezogene, winzige Lenkrad ist nicht abgegriffen und das Armaturenbrett ist rissfrei. Bis auf den Tacho funktionieren alle Anzeigen. Bei ihm liegt es daran, dass die Werkstatt vor kurzem beim Einbau der neuen Kupplung (ich vermute Standschaden) die Tachowelle beschädigt hat und die Neue nicht anständig verschraubt ist. Die Gummimanschette des Schaltgriffs ist leider gerissen:
Reliant Rialto Abenteuer 030
Als Laufleistung gibt der Tacho 19.046 Meilen (30.473 Km) an:
Reliant Rialto Abenteuer 033
Da die Anzeige nur 5-stellig ist, könnten es natürlich auch 119.046 Meilen (190.473 Km) sein. Allerdings glaube ich das bei dem Gesamtzustand des Wagens nicht. Der Lack wäre dann wesentlich schlechter und auch die Sitze sowie der Motorraum sähen wesentlich verbrauchter aus.
Lediglich die Gummiauflagen der Pedale erschienen auf den ersten Blick etwas abgenutzt. Das muss ich aber nochmal in Ruhe eruieren.
Der Motorraum präsentiert sich sauber und noch mit den original Aufklebern bestückt. Der sonst als rostanfällig geltende Wärmetauscherkasten (die schwarze Kiste mit den dicken Schläuchen und der runden Dose drauf) sieht sehr gut aus:
Motorraum
Der Motor selbst scheint ein wenig zu ölen, aber auch das muss ich noch genauer untersuchen. Wie ihr seht sitzt er nicht gerade gut zugänglich.
Wie schon angedeutet handelt es sich um einen Reliant Rialto 2 GLS Estate. Das „GLS“ bedeutet, er hat das ganz große Luxus-Ausstattungspaket mit Radio, Radial Reifen (145×10) und zwei zusätzlichen Instrumenten (Uhr und „Ecometer“):
Reliant Rialto Abenteuer 035
Das Paket kostete den Eigentümer übrigens laut originaler Preisliste 102,50 Pfund extra zu den 3724 Pfund Einstandspreis. Das waren mehr als 1000 Pfund Aufpreis zum Grundmodell (Die nackte Lieferwagenversion kostete 2769 Pfund) und damit das absolute Top-Modell der Reihe. Ein Traum von Luxus. Quasi auf Augenhöhe mit Tobias Pacer.
Ein schönes Detail, dass ich auch beibehalten werde, ist der „BBC Radio Norfolk„-Aufkleber des Vorbesitzers:
Reliant Rialto Abenteuer 029
Den online-Stream werde ich erstmal die nächste Zeit hören. Man muss sich ja „einfühlen“…
Alleine negativ viel mir der Zustand des „A-Frames“ auf:
Reliant Rialto Abenteuer 042

Reliant Rialto Abenteuer 041
Diese von Reliant patentierte Konstruktion trägt das Vorderrad samt Stoßdämpfer und Lenkung. Er ist normalerweise genauso wie der Rest des Rahmens verzinkt, allerdings gibt es eine Schwachstelle, die hier mustergültig zugeschlagen hat. Auf dem letzten Bild seht ihr einen Metallstreifen der an der Karosse verschraubt ist, etwas höher als die Mitte des Reifens. Dieser Streifen hält normalerweise einen Schmutzfänger (Reste sind noch am Ende zu erkennen), welcher verhindert, dass das Vorderrad den A-Frame mit Steinen, Dreck und Feuchtigkeit bombardiert und die Verzinkung killt. Dieser Schmutzfänger verabschiedet sich (so wie bei meinem Wagen) gerne und führt dann wie hier zu Rost und in meinem Fall sogar Rostlöchern. Mal sehen, wie ich dem zu Leibe rücke. Ein neuer A-Frame kostet 140 Pfund + Versand. Machbar, aber vielleicht kann ich ihn auch schweißen lassen. Aber auch das wird erst eine spätere Untersuchung ergeben. Der restliche Rahmen präsentiert sich nach erster Betrachtung aber gänzlich rostfrei.
Die Probefahrt verlief unspektakulär. Ich war erstaunt über die Performance (37,5 PS bei 417 Kg ergeben annähernd 100 PS pro Tonne). Das Kurvenverhalten ist unspektakulär. Lastwechselreaktionen wie bei Lola habe ich nicht/kaum gespürt. Das ist wahrscheinlich aber auch dem Mittelmotor, meinem Vater als Ballast auf dem Beifahrersitz und meiner eher verhaltenen Fahrweise geschuldet. Das Getriebe schaltet sich unglaublich knackig und macht eine wahre Freude, wenn man es erstmal raus hat.
Nach unserer Rückkehr ging es also ans Preis aushandeln und Papierkrams erledigen. Beides kurz und schmerzlos. Danach ging es ans aufladen. Die Engländer haben sich köstlich amüsiert, wie generalstabsmäßig wir alles vorbereitet hatten. Der Verkäufer reichte uns noch Kaffe und Tee. Normalerweise ist schwarzer Tee ja überhaupt nicht mein Fall, aber dieser mit etwas Milch war echt lecker… So schnell ändert man seine Gewohnheiten.
Nachdem der Wagen fest verzurrt war, begaben wir uns gegen 13 Uhr auf den Rückweg:
Reliant Rialto Abenteuer 015
Papa und ich erschraken uns 2-3 mal, weil im Rückspiegel plötzlich jemand so nah auffuhr:
Reliant Rialto Abenteuer 017
Die Rückfahrt verlief bis zur Fähre unspektakulär und wurde nur für unsere Fish&Chips-Pause und tanken unterbrochen. Ich nutzte die Gelegenheit des günstigen Sprits (1 L Super + kostet auf der Insel umgerechnet nen Euro) um auch dem Reliant 9 Liter zu spendieren (Im Handbuch steht 97 Oktan) und so mein Münzgeld aufzubrauchen. Gegen 18 Uhr rollten wir auf das Schiff. Dort wurde uns dann bewusst, das anscheinend momentan jeder nach England fährt um sich nen Oldtimer mitzubringen:
Reliant Rialto Abenteuer 044
Die Jungs vor uns hatten einen alten alten Land Rover huckepack, die hinter uns ein paar alte Motorräder. Unterwegs sahen wir noch einen Rolls Royce Silver Spur und einen Bentley T2 im Sychronflug mit deutschen Überführungskennzeichen und auch sonst waren viele ausländische Autos mit Trailern unterwegs. Nach der Finanzkrise ist die Insel leer.
Wir suchten uns einen schönen Platz auf dem Panoramadeck und warfen ein paar letzte Blicke auf die Kreidefelsen von Dover:
Reliant Rialto Abenteuer 110
Ehe uns die Nacht wieder umgab, spendierte ich Papa und mir noch das letzte landestypische Gericht, welches auf unserer Reise noch fehlte: Schales, schaumloses Bier:
Reliant Rialto Abenteuer 107
Trotz einiger Experimente gelang es mir nicht dem Bier etwas Schaum zu entlocken. Langsam kam nun die Müdigkeit wieder und ich versuchte etwas Schlaf zu bekommen:
Reliant Rialto Abenteuer 112
Gegen 21 Uhr erreichten wir wieder den Kontinent und begannen unsere 7-stündige Heimfahrt. Da wir nun wieder die Nacht auf unserer Seite hatten, kamen wir gut voran. Besonders Belgien ist bei Nacht sehr angenehm. Fast das gesamte Autobahnnetz ist beleuchtet:
Reliant Rialto Abenteuer 122
Gegen 3 Uhr kamen wir dann in Paderborn an und machten uns ans abladen des Reliants. Tschuldigung an die Nachbarn, wenn wir sie geweckt haben sollten. Wir haben uns bemüht, so leise wie möglich zu sein. Nach einigen durch meine Müdigkeit und Ungeduld bedingten Schwierigkeiten habe ich den Reliant dann unter Tobias Pacer eingeparkt:
Reliant Rialto Abenteuer 127
So konnte er erstmal nach seiner langen Reise verschnaufen und sich ein wenig mit dem anderen „Neuen“ anfreunden:
Reliant Rialto Abenteuer 129
Wir hingegen machten uns auf die letzte Etappe und brachten noch den Anhänger wieder beim Hökerer vorbei. Gegen 5:30 Uhr sanken wir erschöpft aber glücklich in die heimischen Betten. Wir haben in 40 Stunden 5 europäische Länder befahren und knapp 2000 km zurück gelegt. Von den 40 Stunden haben wir 32 im Auto verbracht. Es war ein echtes Abenteuer am Limit dessen, was man machen kann. Die Müdigkeit war am Ende überwältigend und das Hirn mitsamt aller Sinne fühlte sich wie in dicke Watte gepackt an. In diesem Zustand tagsüber sich im Verkehr zu bewegen, halte ich für tödlich.
Sollte ich nochmal so eine Aktion machen, würde ich auf jeden Fall 3 Tage und/oder 3 Fahrer einplanen.
Der Reliant wird jetzt erstmal ein paar Wochen unberührt in der Garage verbringen, bis ich auch meine letzten Prüfungen hinter mich gebracht habe und endlich arbeitslos bin.
Nochmal möchte ich meinem Vater von ganzem Herzen danken, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre! Bist der beste, Papa!
Ach, der Name meines Rialtos ist übrigens „Edward“. Nach seinem Vorbesitzer George Edward Forder. Ich fand das passend.

2 Gedanken zu „Operation Edward III“

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