Reliant Scimitar – Der Krummsäbel

Heute will ich dem geneigten Sportkombi-Interessenten mal den Reliant Scimitar näher bringen.
Eigentlich hätte ich über diese Perle aus Tamworth, der Heimat meiner dreirädrigen Schätze, schon viel früher berichten müssen. Naja, Wald, Bäume, altes Lied…
Zur Geschichte:
Mitte der 1960er Jahre meinte Reliant seine Fahrzeugpalette von Dreirädern erweitern zu müssen.
Was lag da näher als vierrädrige Sportwagen?

Erster Vertreter war der Scimitar GT SE4:

1968 überlegte man sich bei Reliant, dass man auch im Sportwagenbereich mal gänzlich neue Wege gehen könnte.
Wie bei ihren Kleinwagen, ein Rad wegzulassen, schied aus. Warum dann nicht einfach aus dem Coupé einen Kombi machen?
Spitzen Idee! Besonders in einer Zeit, als Kombis noch als Handwerkerschlurren verschrien waren.
Also behalten wir das Konzept des Zweitürers bei, verbinden eine nach hinten abfallende Dachpartie mit einer ansteigenden Gürtellinie, ein schräg abfallendes Heck und dicke Motoren! Fertig war der erste seriengefertigte Shooting-Break (Sorry, Volvo!), der Reliant Scimitar GTE SE5:

Damit war auch die Zielgruppe definiert.
Nicht gammlige Wasserrohre sollten im Gepäckabteil rumfliegen, sondern handgenähte Golftaschen, edle Flinten oder das Reisegepäck für die Côte d’Azur:

Auch der Innenraum sollte diesem Anspruch gerecht werden, mit üppiger Uhrensammlung:

und luxuriösem Interieur:

Reliant war auch in Detailfragen mal wieder Vorreiter. So finden sich im Scimitar erstmals einzeln umklappbare Rücksitze und später auch Wisch-/Waschanlagen für die Heckscheibe.
Technisch machte Reliant keine Experimente und bezog (anders als bei seinen Dreirädern) auch Motoren und Getriebe von Großserienherstellern.
Die Wahl fiel auf Ford. Aus den englischen Versionen von Granada und Consul kamen die 2,5 und 3,0 Liter V6 („Essex“)-Motoren. Das Getriebe steuerte der Ford Transit bei. Damit hatten die Krummsäbel bis zu 135 PS und liefen 198 km/h.
Bei der sonstigen Materialwahl verließ sich Reliant hingegen auf seine Erfahrungen im GFK-Formenbau.
Die Scimitars ruhen auf einem massiven Leiterrahmen mit GFK-Karosserie.

Der Wagen war ein voller Erfolg für das kleine Unternehmen.

Im Laufe der Produktionszeit folgte Reliant den Änderungen im Ford-Motorenprogramm, so dass der 2,5l V6 entfiel und mit der Einführung der neuen Granada/Consul Serie auch der 3 Liter V6 überarbeitet wurde (SE5A).

Eine große Änderung kam 1975 mit der Einführung des Scimitar SE6.
Auch wenn der Wagen sehr ähnlich zum SE5 und SE5a scheint, ist er doch ein gänzlich neues Auto.
Reliant wollte den Scimitar größer und noch luxuriöser machen.
Dazu schnitten sie einfach die Karosserie eines SE5a einmal längs und einmal quer durch und verschoben die Teile solange, bis ihnen die Proportionen gefielen. Dann alles wieder aneinander laminieren und fertig ist der neue Wagen!
Schöne heile GFK-Welt.
Mit der Überarbeitung verschwand der 60er-Look und wich einem „modernen“ 70er Erscheinungsbild:

Die Wagen hatten nun Sicherheitsstoßstangen und wesentlich mehr Platz für die Fondpasagiere. Insgesamt wurde der Wagen aber auch wesentlich schwerer, was ihm etwas an Sportlichkeit nahm und eher in Richtung Gran Tourismo brachte.
Allerdings kam der SE6 mit einigen Kinderkrankheiten wie schlechter Verarbeitungsqualität, Undichtigkeiten (wobei auch kaum ein anderer Scimitar wirklich „dicht“ war/ist) und schlechten Fahreigenschaften.
Dies führte zu den Überarbeitungsversionen SE6A und SE6B, welche die Missstände ausmerzen konnten.
1980, als der SE6B erschien, gab es motorenseitig noch einmal eine große Änderung. Ford GB stellte die Produktion des 3 Liter Essex-Motors ein, so dass Reliant statt dessen auf den 2,8 Liter Motor von Ford Köln auswich.

1988 hatte das Kundeninteresse so weit nachgelassen, dass Reliant die Produktion einstellte und alle Rechte und Werkzeuge an die Firma Middlebridge verkaufte, welche noch bis 1990 den Scimitar weiter baute. Danach übernahm Graham Walker Ltd. die Rechte und fertigt bis heute Scimitars auf Bestellung.

Der Großteil der Scimitars sind natürlich Rechtslenker.
Allerdings wurden auch einige wenige Linkslenker produziert. Hauptexportmärkte waren Belgien, die Niederlande und die Schweiz.
Allerdings sind sie wirklich rar gesäht.
Vom GT wurden nur 9 LHD-Exemplare produziert. Vom LHD SE5 weniger als 20 und vom SE6A ca. 150.
In den frühen 90er Jahren tauchte überraschend eines der seltenen linksgelenkten GT-Exemplare in der Nähe von Zwickau auf. Die Sachsenring-Werke hatten es als Erprobungsfahrzeug angeschafft. Genau das, was der Arbeiter & Bauernstaat brauchte!

Dank Großserientechnik, GFK-Karosserie und hohem Nutzwert sind die Scimitars auch heute noch problemlose Begleiter, welche dank üppiger Leistung auch noch mehr als ausreichend im aktuellen Verkehrsgeschehen mithalten können.
Ihrem Exotenstatus verdanken sie auch ihren überraschend geringen Einstandspreis. Solide Fahrzeuge bekommt man in GB schon ab 3000€. Restaurierungsexemplare liegen um 1000€.

Eignet sich übrigens auch gut als Fluchtwagen:

Viel mehr Bilder und Infos findet ihr bei Interesse hier.

Ein Gedanke zu „Reliant Scimitar – Der Krummsäbel“

  1. Hello

    ganz toller Text. Man findet ja nicht oft einen deutschsprachigen Text über den Scimitar.
    Ich bin nun seit etwas über 2 Jahren auch ein sehr stolzer Besitzers eines SE5. Es ist einer von den originalen LHD. Es ist der ehemailge Wagen von Erik Hofmann. Die Internetseite von Ihm kennst Du ja sicherlich. In den gut 2 Jahren, in dem ich den Wagen nun habe (deutsche Zulassung hat der seit dem 12.05.2012) bin ich über 33.000km mit dem Wagen gefahren und das fast ganz ohne besondere Vorkommnisse. Einmal sprang er nicht an, aber das lag dann eben am Anlasser.

    Viele Grüße
    Marc

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