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Werkzeugkoffer

Ich merke schon, das Rätsel war viel zu leicht für euch.
OST lag mit seinem Tipp „Vitara“ goldrichtig.
Zu essen gab es griechische Hacksteaks (mit umstrittenem Namen Suzuki, Zuzuki, Souzuki, Bifteki, Keftedes) und dazu ein Vitamalz….Zu einfach. Ich gebs zu.
Dann erzähle ich die Geschichte mal von Anfang an.
Motivation für die Anschaffung war, dass sich der Ende letzten Jahres angeschaffte Volvo V50 als ungeeignet für den Waldeinsatz erwiesen hat.
Das hat multiple Gründe.
Zum einen hat Vaddern, welcher den Wagen bezahlt, ihn bislang am wenigsten genutzt. Erst hatte ich ihn mit in Speyer und seit Jahresbeginn nutzt ihn mein Bruder bis sein Volvo 740 wieder läuft.
Weiterhin hat sich herausgestellt, dass es doch eine zu starke emotionale Bindung bei uns an Fahrzeuge der Marke „Volvo“ gibt, als dass man damit ohne schlechtes Gewissen durch Wald und Flur im Revier bügeln könnte. Alleine schon der Gedanke an dreckverkrustete Stiefel ließ Vaddern erschaudern.
Und zuletzt ist der V50 einfach viel zu niedrig. Die Wege im Revier sind teilweise so ausgefahren, dass man dort unwillkürlich mit einem normalen PKW aufsetzt.
Daher erging der Auftrag an mich, ein Fahrzeug mit möglichst wenig emotionalem Bindungspotential zu suchen (damit hatte ich ja schon reichlich Erfahrung gesammelt) und welches für den regelmäßigen Waldeinsatz geeignet wäre.
Schaut man sich ganz unbedarft nach Allradfahrzeugen um, schlägt man erstmal bei den Preisen hinten rüber. Als Daumenpeilung kann man sagen, dass die Preise im Vergleich zu PKWs ähnlicher Größe und Ausstattung regelmäßig mindestens doppelt so hoch sind. Eine völlig tote Allrad-Rostlaube bringt immer noch über 1000€, während ein vergleichbarer PKW bei maximal 500€ liegen würde.
Um so schlimmer wird es, wenn man in den Bereich der „richtigen“ Offroader wie G-Klasse oder Land Rover geht. Da heben die Preise richtig ab. Da Vaddern jedoch lediglich über matschige Wiesen und ausgefahrene Feldwege hoppeln will, musste es keines dieser ernsthaften Geräte werden. Viel mehr war ihm an kompakten Abmessungen (um zwischen den Bäumen durch zu passen), moderaten Unterhaltskosten und problemloser Bedienbarkeit gelegen. Damit geriet die Klasse der „Softroader“ in meinen Fokus. Da finden sich auch Bodenfreiheit, Allrad sowie kleine Motoren. Toyota RAV4 (Serie I) in Kurzversion zum Beispiel erschien ein viel versprechender Kandidat. Allerdings soll sein komplett dem PKW-Programm entnommenes Fahrwerk auch lediglich leichtem Geländeeinsatz nicht gewachsen sein. Nächster Kandidat war der Daihatsu Terios I. Robuste Technik (späte Modelle sogar mit Steuerkette), sperrbares Mitteldifferenzial, 1,5l-Motörchen. Klang alles gut. Auch die Autozeitung mit vier Großbuchstaben lobte ihn mit den Worten „kann man blind am Telefon kaufen“. Ein Traum!
Es sollte sich aber eher als Wunschtraum (im wahrsten Sinne des Fahrzeugnamens) herausstellen.
Wir haben uns vier Terios von 2200€ bis 6900€, Baujahr 1997 bis 2003 und 36.000km bis 98.000km angesehen. Es war grauenhaft! Den Wagen für 2200€ habe ich noch nicht mal fotografiert. Die Rostlöcher waren so groß wie eine DIN-Faust, alles war mit Felgensilber übergejaucht und lieblos mit Glasfasermatten und Spaxschrauben geflickt. Der Wagen bekommt nie wieder TÜV. Doch auch seine jüngeren und teureren Brüder trieben einem die Tränen in die Augen.
Kandidat zwei:
Daihatsu Terios 14
Man erkennt die zielgerichtete Haltung der Protagonisten. Allerdings erkennt der geneigte Betrachter auch, dass die Motorhaube sowie Stoßstange eine andere Farbe hat, als der Rest des Wagens. Die linke hintere Tür war von Cellulite befallen und schlecht beilackiert. Unfall? „Nicht das ich wüsste.“ Warum sind denn da überall Bleche reingebraten? „Wooo?!“
Daihatsu Terios 15
„Och, da hat nur der Wagenheber den Unterboden ein wenig eingedrückt.“ Aha. Überall am Unterboden? Der frische Unterbodenschutz ist ja noch schön klebrig. Sogar auf den rostigen Falzen. War es nötig, auch die Bremsscheiben damit einzusprühen? Der Verkauf im Kundenauftrag ohne jegliche Gewährleisteung versteht sich dabei natürlich von selbst. Wir waren nach 15 Minuten durch. Für 4500€ muss er sich wen anderes suchen.
Nächster Händler. Der hatte gleich ein ganzes Rudel da. Der hier sollte 5900€ kosten:
Daihatsu Terios 20
Hatte knapp über 50.000km runter und war aus 2002. Innen Tip-Top. Das interessierte uns jedoch mittlerweile nicht mehr. Der Blick unter den Wagen offenbarte klassisches:
Daihatsu Terios 21
Als der Finger aus dem Loch zurück kam, war er braun und brachte reichlich Brösel mit.
Letzte Hoffnung war dieser hier:
Daihatsu Terios 16
2003, knapp 36.000km, Ersthand, Scheckheft, 6900€.
Was soll ich sagen? Hier die Bilder:
Daihatsu Terios 18

Daihatsu Terios 19
Sagen sie mal: Der rostet aber auch schon ganz ordentlich, oder?! „Warum?!“ Fingerzeig unters Auto; „Ja, da sind wir noch nicht mit der Aufbereitung fertig….“ blank geschliffen auf einer feuchten Wiese im Regen stehen lassen? Die „Aufbereitung“ sparten wir uns lieber.
Ein müdes Schmunzeln konnte uns der Händler wenigstens noch beim Anblick seiner praktischen Unkrautsperre im Vorgarten entlocken:
Daihatsu Terios 22
Ich vermute, er verkauft alle Autos ohne Fußmatten….
Daihatsu ist damit als Hersteller für uns gestorben. Tobias hatte sich vor einiger Zeit den Copen angeguckt und dort auch massive Korrosionsprobleme entdeckt. Das scheinen sie generell nicht im Griff zu haben.
Der Tag war ein Schlag ins Wasser und wir haben die obige Erkenntnis mit einer ziemlich hohen Spritrechnung teuer bezahlt. Ärgerlich.
Wir beendeten den Tag daher auch mit einer angemessenen Ladung Junkfood:
Daihatsu Terios 24

Operation Edward III

Nachdem wir nun um 10 Uhr beim Verkäufer angekommen waren, machten wir uns direkt an die Besichtigung des bereitstehenden Reliant Rialtos.
Äußerlich sieht der Wagen für 25 Jahre sehr gut aus. Mir sind lediglich ein paar kleine Kratzer und zwei kleine „Star-Cracks“ im Lack aufgefallen (sternförmige Risse, welche durch Alterung und Temperaturunterschiede entstehen), was für einen Reliant erstaunlich ist. Der Lack selbst ist nicht verblasst, wie es sonst normal bei Reliants ist, da die Feuchtigkeit von der unlackierten Rückseite der Glasfaserkarosserie eindringt:
schräg vorne rechts

schräg vorne links

schräg hinten rechts

schräg hinten links
Die Zierstreifen und Aufkleber deuten darauf hin, dass der Wagen noch seinen Erstlack trägt. Die Reliants waren (und sind) zu billig, als das jemand bei einer Neulackierung den Aufwand treiben würde, die Streifen und Abzeichen neu zu besorgen. Zumal ich keinen Händler kenne, der sie hat. Auch im Innenraum gibt es nichts zu meckern. Die Polster sind alle heile und nicht durchgesessen. Laut Verkäufer trugen sie zeitlebens Schonbezüge:
Reliant Rialto Abenteuer 037

Reliant Rialto Abenteuer 038
Der Kofferraum zeigt einige Spuren von Getränkekisten, aber nix, was auch nur annähernd dramatisch wäre:
Kofferraum
Das original mit Leder bezogene, winzige Lenkrad ist nicht abgegriffen und das Armaturenbrett ist rissfrei. Bis auf den Tacho funktionieren alle Anzeigen. Bei ihm liegt es daran, dass die Werkstatt vor kurzem beim Einbau der neuen Kupplung (ich vermute Standschaden) die Tachowelle beschädigt hat und die Neue nicht anständig verschraubt ist. Die Gummimanschette des Schaltgriffs ist leider gerissen:
Reliant Rialto Abenteuer 030
Als Laufleistung gibt der Tacho 19.046 Meilen (30.473 Km) an:
Reliant Rialto Abenteuer 033
Da die Anzeige nur 5-stellig ist, könnten es natürlich auch 119.046 Meilen (190.473 Km) sein. Allerdings glaube ich das bei dem Gesamtzustand des Wagens nicht. Der Lack wäre dann wesentlich schlechter und auch die Sitze sowie der Motorraum sähen wesentlich verbrauchter aus.
Lediglich die Gummiauflagen der Pedale erschienen auf den ersten Blick etwas abgenutzt. Das muss ich aber nochmal in Ruhe eruieren.
Der Motorraum präsentiert sich sauber und noch mit den original Aufklebern bestückt. Der sonst als rostanfällig geltende Wärmetauscherkasten (die schwarze Kiste mit den dicken Schläuchen und der runden Dose drauf) sieht sehr gut aus:
Motorraum
Der Motor selbst scheint ein wenig zu ölen, aber auch das muss ich noch genauer untersuchen. Wie ihr seht sitzt er nicht gerade gut zugänglich.
Wie schon angedeutet handelt es sich um einen Reliant Rialto 2 GLS Estate. Das „GLS“ bedeutet, er hat das ganz große Luxus-Ausstattungspaket mit Radio, Radial Reifen (145×10) und zwei zusätzlichen Instrumenten (Uhr und „Ecometer“):
Reliant Rialto Abenteuer 035
Das Paket kostete den Eigentümer übrigens laut originaler Preisliste 102,50 Pfund extra zu den 3724 Pfund Einstandspreis. Das waren mehr als 1000 Pfund Aufpreis zum Grundmodell (Die nackte Lieferwagenversion kostete 2769 Pfund) und damit das absolute Top-Modell der Reihe. Ein Traum von Luxus. Quasi auf Augenhöhe mit Tobias Pacer.
Ein schönes Detail, dass ich auch beibehalten werde, ist der „BBC Radio Norfolk„-Aufkleber des Vorbesitzers:
Reliant Rialto Abenteuer 029
Den online-Stream werde ich erstmal die nächste Zeit hören. Man muss sich ja „einfühlen“…
Alleine negativ viel mir der Zustand des „A-Frames“ auf:
Reliant Rialto Abenteuer 042

Reliant Rialto Abenteuer 041
Diese von Reliant patentierte Konstruktion trägt das Vorderrad samt Stoßdämpfer und Lenkung. Er ist normalerweise genauso wie der Rest des Rahmens verzinkt, allerdings gibt es eine Schwachstelle, die hier mustergültig zugeschlagen hat. Auf dem letzten Bild seht ihr einen Metallstreifen der an der Karosse verschraubt ist, etwas höher als die Mitte des Reifens. Dieser Streifen hält normalerweise einen Schmutzfänger (Reste sind noch am Ende zu erkennen), welcher verhindert, dass das Vorderrad den A-Frame mit Steinen, Dreck und Feuchtigkeit bombardiert und die Verzinkung killt. Dieser Schmutzfänger verabschiedet sich (so wie bei meinem Wagen) gerne und führt dann wie hier zu Rost und in meinem Fall sogar Rostlöchern. Mal sehen, wie ich dem zu Leibe rücke. Ein neuer A-Frame kostet 140 Pfund + Versand. Machbar, aber vielleicht kann ich ihn auch schweißen lassen. Aber auch das wird erst eine spätere Untersuchung ergeben. Der restliche Rahmen präsentiert sich nach erster Betrachtung aber gänzlich rostfrei.
Die Probefahrt verlief unspektakulär. Ich war erstaunt über die Performance (37,5 PS bei 417 Kg ergeben annähernd 100 PS pro Tonne). Das Kurvenverhalten ist unspektakulär. Lastwechselreaktionen wie bei Lola habe ich nicht/kaum gespürt. Das ist wahrscheinlich aber auch dem Mittelmotor, meinem Vater als Ballast auf dem Beifahrersitz und meiner eher verhaltenen Fahrweise geschuldet. Das Getriebe schaltet sich unglaublich knackig und macht eine wahre Freude, wenn man es erstmal raus hat.
Nach unserer Rückkehr ging es also ans Preis aushandeln und Papierkrams erledigen. Beides kurz und schmerzlos. Danach ging es ans aufladen. Die Engländer haben sich köstlich amüsiert, wie generalstabsmäßig wir alles vorbereitet hatten. Der Verkäufer reichte uns noch Kaffe und Tee. Normalerweise ist schwarzer Tee ja überhaupt nicht mein Fall, aber dieser mit etwas Milch war echt lecker… So schnell ändert man seine Gewohnheiten.
Nachdem der Wagen fest verzurrt war, begaben wir uns gegen 13 Uhr auf den Rückweg:
Reliant Rialto Abenteuer 015
Papa und ich erschraken uns 2-3 mal, weil im Rückspiegel plötzlich jemand so nah auffuhr:
Reliant Rialto Abenteuer 017
Die Rückfahrt verlief bis zur Fähre unspektakulär und wurde nur für unsere Fish&Chips-Pause und tanken unterbrochen. Ich nutzte die Gelegenheit des günstigen Sprits (1 L Super + kostet auf der Insel umgerechnet nen Euro) um auch dem Reliant 9 Liter zu spendieren (Im Handbuch steht 97 Oktan) und so mein Münzgeld aufzubrauchen. Gegen 18 Uhr rollten wir auf das Schiff. Dort wurde uns dann bewusst, das anscheinend momentan jeder nach England fährt um sich nen Oldtimer mitzubringen:
Reliant Rialto Abenteuer 044
Die Jungs vor uns hatten einen alten alten Land Rover huckepack, die hinter uns ein paar alte Motorräder. Unterwegs sahen wir noch einen Rolls Royce Silver Spur und einen Bentley T2 im Sychronflug mit deutschen Überführungskennzeichen und auch sonst waren viele ausländische Autos mit Trailern unterwegs. Nach der Finanzkrise ist die Insel leer.
Wir suchten uns einen schönen Platz auf dem Panoramadeck und warfen ein paar letzte Blicke auf die Kreidefelsen von Dover:
Reliant Rialto Abenteuer 110
Ehe uns die Nacht wieder umgab, spendierte ich Papa und mir noch das letzte landestypische Gericht, welches auf unserer Reise noch fehlte: Schales, schaumloses Bier:
Reliant Rialto Abenteuer 107
Trotz einiger Experimente gelang es mir nicht dem Bier etwas Schaum zu entlocken. Langsam kam nun die Müdigkeit wieder und ich versuchte etwas Schlaf zu bekommen:
Reliant Rialto Abenteuer 112
Gegen 21 Uhr erreichten wir wieder den Kontinent und begannen unsere 7-stündige Heimfahrt. Da wir nun wieder die Nacht auf unserer Seite hatten, kamen wir gut voran. Besonders Belgien ist bei Nacht sehr angenehm. Fast das gesamte Autobahnnetz ist beleuchtet:
Reliant Rialto Abenteuer 122
Gegen 3 Uhr kamen wir dann in Paderborn an und machten uns ans abladen des Reliants. Tschuldigung an die Nachbarn, wenn wir sie geweckt haben sollten. Wir haben uns bemüht, so leise wie möglich zu sein. Nach einigen durch meine Müdigkeit und Ungeduld bedingten Schwierigkeiten habe ich den Reliant dann unter Tobias Pacer eingeparkt:
Reliant Rialto Abenteuer 127
So konnte er erstmal nach seiner langen Reise verschnaufen und sich ein wenig mit dem anderen „Neuen“ anfreunden:
Reliant Rialto Abenteuer 129
Wir hingegen machten uns auf die letzte Etappe und brachten noch den Anhänger wieder beim Hökerer vorbei. Gegen 5:30 Uhr sanken wir erschöpft aber glücklich in die heimischen Betten. Wir haben in 40 Stunden 5 europäische Länder befahren und knapp 2000 km zurück gelegt. Von den 40 Stunden haben wir 32 im Auto verbracht. Es war ein echtes Abenteuer am Limit dessen, was man machen kann. Die Müdigkeit war am Ende überwältigend und das Hirn mitsamt aller Sinne fühlte sich wie in dicke Watte gepackt an. In diesem Zustand tagsüber sich im Verkehr zu bewegen, halte ich für tödlich.
Sollte ich nochmal so eine Aktion machen, würde ich auf jeden Fall 3 Tage und/oder 3 Fahrer einplanen.
Der Reliant wird jetzt erstmal ein paar Wochen unberührt in der Garage verbringen, bis ich auch meine letzten Prüfungen hinter mich gebracht habe und endlich arbeitslos bin.
Nochmal möchte ich meinem Vater von ganzem Herzen danken, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre! Bist der beste, Papa!
Ach, der Name meines Rialtos ist übrigens „Edward“. Nach seinem Vorbesitzer George Edward Forder. Ich fand das passend.